Der Eiszeitstein von Siebeneichen

Lange Zeit unbeachtet schlummerte er über viele Jahre unscheinbar im Seitenraum auf der Uferböschung des Elbe-Lübeck-Kanals bei Siebeneichen. Vermutlich wurde er bei den Kanal-Bauarbeiten Ende des 19. Jahrhunderts dort abgelegt, dieser Findling aus dunklem Gestein mit seiner glattgeschliffenen Oberfläche. Aufgrund seiner geschichtsträchtigen Vergangenheit möchten wir fortan vom Siebeneichener Eiszeitstein reden. Der Stein weist deutliche Gletscherschrammen auf und seine allseitig abgerundete glatte Oberfläche lassen den eindeutigen Schluss zu, dass er im Geschiebe der Eiszeiten über Jahrtausende hinweg aus einem Gebiet, welches wir heute Skandinavien nennen, bis in unsere Region bewegt wurde. Mit ihm verbindet sich nicht nur die topografische Entstehung des Delvenautals. Er ist gewissermaßen auch Zeitzeuge der jüngeren Geschichte, zum Beispiel des Werdegangs der Stecknitzfahrt (v. 1398 – 1895), des Ausbaus und der Schifffahrt auf dem Elbe-Lübeck-Kanal (ab 1900) bis hinein in die Gegenwart.

In den folgenden Beiträgen erfahren Sie weitere spannende Details über den Eiszeitstein und über die Entstehung des Delvenautals bei Siebeneichen

Zu finden ist der Stein auf der Fährwiese, ca. 75 m vor dem Fähranleger, auf der rechten Seite in Blickrichtung der Fähre. Berühren Sie ihn, fühlen Sie seine glatte Oberfläche mit den Gletscherschrammen und lassen Sie sich zu einer Zeitreise in die Entstehungsgeschichte des Delvenautals inspirieren.

Über die Entstehung des Delvenautals bei Siebeneichen

ein Beitrag von Thomas Franke, Heimat- und Geschichtsverein Büchen

Die Stecknitz/Delvenau Niederung tritt als das bestimmende geomorphologische Geotop des Kreises Herzogtum Lauenburg hervor. Heute durchzieht der Elbe-Lübeck-Kanal dieses weite Tal. Die Niederung wurde einst durch aufeinander folgende Eiszeiten als Rinnental ausgeschürft. Ihr Ursprung dürfte aber bereits lange vorher, in der Zeit vor 140 Mio. Jahren, mit der Aufwölbung der Salzkissen von Nusse und Gudow, zu suchen sein. Die Randsenken an den Salzkissenaufwölbungen und der im Tertiär in Folge der tektonischen Bewegungen aufgebrochene Scheitelgraben, haben den Gletschern der folgenden Eiszeiten den Weg gewiesen. Das Delvenautal wurde von den Gletschern zu einer bis zu 240 Meter tiefen Rinne ausgeschürft. Mehrere Generationen eiszeitlicher Ablagerungen (Geschiebemergel) und zwischeneiszeitlicher Kiese und Sande verfüllten diese Rinne, die sich sowohl durch Grundmoränen der vorletzten Eiszeit sowie durch Grund- und Endmoränen der letzten Eiszeit hinzieht. Am Ende der letzten Eiszeit (Weichselkaltzeit) brachten vom Schmelzwasser hinterlassene Kiese und Sande das Delvenautal auf sein heutiges Niveau. Hier bei Siebeneichen stießen die Schmelzwasser der letzten Vereisung im Tal auf einen Eisrand, Unteres Holz/Bergholz, es entstand der große S-Bogen. Die anfangs südwärts fließenden Gewässer teilten sich bei abfallendem Wasserstand in die nordwärts fließende Stecknitz und die südwärts fließende Delvenau auf. Die dazwischen liegende Scheitelstrecke bei Woltersdorf/Grambek fiel nach dem Bau des mittelalterlichen Stecknitzkanals, seit 1900 zum Elbe-Lübeck-Kanal erweitert, trocken. Die Planer des zukünftigen Elbe-Lübeck-Kanals beabsichtigen, diesen Bogen zu begradigen und damit die Landschaftsformung der eiszeitlichen Gletscher zu korrigieren.

Der Bodenaufbau im Delvenautal:

Im Jahre 1939 erfolgte im Delvenautal bei Göttin eine Tiefenbohrung im Rahmen des sogenannten Reichbohrprogrammes. Es war darauf ausgerichtet, das Gebiet des Deutschen Reiches systematisch auf Erdöllagerstätten zu durchsuchen. Erdöl fand man im Delvenautal bei Göttin (Gudow-2) nicht. Die Bohrproben lieferten jedoch einen detaillierten Einblick in die Bodenschichtung des erdgeschichtlichen Eiszeitalters in unserer Region.  Die erreichte Tiefe nach Einstellung der Bohrarbeiten (= Endteufe) lag bei 805 m.


Die Darstellung zeigt die Bodenschichtung der eiszeitbedingten Ablagerungen bis zu einer Tiefe von 240 m.
Anders ausgedrückt, die Gletscher erreichten hier eine Tiefe von 240 m!

Der Findling am Fähranleger in Siebeneichen

eine Expertise v. Helge Kreutz, Diplomgeologe

  1. Beschreibung

Bei dem Findling handelt es sich um einen großen (zirka 80-100 cm Durchmesser), dunklen und im wesentlichen feinkörnigen Stein mit deutlichen Schleifspuren, Gletscherschrammen und Abrundung durch Gletschertransport. An der Oberfläche sichtbar sind wenige Schlieren von hellerer Farbe. Ansonsten ist die Struktur nicht erkennbar.

Die Oberfläche ist relativ frisch, aber so stark geglättet, dass nur vereinzelt Kristallformen unter der Lupe sichtbar sind. Vor allem in den helleren Schlieren sind Kristallstrukturen sichtbar, die soweit erkennbar aus einer Mischung von Feldspat und Hornblende bestehen. Glimmer oder Granat wurden ebenso wie Quarz nicht gefunden.

Die dunklere Grundmasse ist relativ homogen und ziemlich feinkörnig kristallin. Hellere Minerale in der Matrix sind klein und gleichmäßig verteilt, Verformungsstrukturen sind lediglich durch die erwähnten hellen Schlieren zu erkennen.

  1. Interpretation

Von der Zusammensetzung und Struktur her handelt es sich entweder um ein metamorphes Gestein (Umwandlungsgestein, Amphibolit) oder ein magmatisches Tiefengestein (Gabbro). Wir neigen zur Interpretation als Amphibolit wegen der deutlich verformten helleren Schlieren. Amphibolite sind Umwandlungsgesteine die hauptsächlich aus Amphibolen (dunklen Mineralen verwandt mit der Hornblende) und Feldspat als helleren Bestandteilen bestehen. Quarz kann bis zu 5% der Grundmasse ausmachen, ist aber meist nicht mit bloßem Auge oder der Lupe sichtbar. Glimmer sind unter den dunklen Mineralen sehr selten, dagegen werden im Lauenburgischen gelegentlich Amphibolite mit roten Granateinschlüssen gefunden (siehe Findlingssammlung im Wildpark Mölln).

  1. Herkunftsgebiet, Entstehung und Alter

In Skandinavien, dem Herkunftsgebiet der Amphibolite die im Lauenburgischen gefunden werden, treten ähnliche Amphibolite an verschieden Stellen auf. Ohne Einschlüsse von Granat und erhöhtem Gehalt an hellen Feldspatschlieren, welche auf eine Herkunft aus Südschweden hinweisen würden, lässt sich der Ursprung nicht näher eingrenzen.

Amphibolite sind ein Bestandteil des über eine Milliarde Jahre alten Baltischen Schildes und weisen vermutlich auf eine längst vergangene Kontinentalkollision hin, über die nichts Genaueres bekannt ist. Die Entstehungsbedingungen von Amphiboliten sind im beiliegenden Diagramm von Streckeisen zu sehen (Versenkungstiefe 10-40 km, Temperatur 500-700°C, Druck 3000-12000 bar).

  1. Gletschertransport

Der Findling wurde in der Uferböschung des Elbe-Lübeck-Kanals gefunden und ist wahrscheinlich bei Bauarbeiten dort hingelangt. Siebeneichen liegt knapp südlich des äußersten Eisrandes der Weichsel-Vereisung. Eine direkte Zuordnung zur Endmoräne dieses Eisvorstoßes ist nicht möglich, aber ein lokaler Fundort ist sehr wahrscheinlich.

  1. Detailfotos des Siebeneichener Findlings

Eine von zwei sichtbaren Feldspat / Hornblende Schlieren. Auf der Oberfläche sind auch Gletscherschrammen sichtbar.

Detail des linken Randes der Schliere. Die Größe der Feldspatkristalle ist erkennbar. Daneben sind in der dunklen Grundmasse auch vereinzelte hellere Bereiche mit Feldspat zu erkennen.